Das Leica M 50mm 1.4 Summilux

Das Leica M 50mm 1.4 Summilux – Schärfe gegen Kunst: Was ist besser? von Marc Hoch

Es ist unbestritten, dass das M 50mm 1.4 ein Leica-Klassiker ist. Seit fast sechs Jahrzehnten ist es im Programm und hat viele Fotografen in seinen Bann geschlagen. Mit seiner hohen Lichtstärke ermöglicht es jenes Maß an künstlerischer Fotografie, das viele Leica-Anwender zu erreichen hoffen. Das Verhältnis von Schärfe und Unschärfe kann mit dem Summilux ähnlich schön in einem Bild umgesetzt werden wie mit dem Noctilux – dabei ist es viel preisgünstiger und bietet gegenüber dem Prestige-Objektiv praktische Vorzüge wie etwa das leichtere Gewicht. Viel spricht also dafür, ein Summilux anzuschaffen, die Frage aber lautet: Welches? Das aktuelle asphärische, das nun auch schon seit 2004 im Programm ist? Oder seinen Vorgänger, das pre-asphärische?

Leica M 50mm 1.4 asph. Rechts: Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Links: Leica M 50mm 1.4 asph. Rechts: Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Design

Für die allermeisten Leica-Anwender ist die Ästhetik eines Objektives ein nicht unerheblicher Faktor – vergleichen wir also kurz das Aussehen der beiden Objektive. Beide sind bemerkenswert schlank und geradlinig geformt und unterscheiden sich von ihrer Silhouette an der Kamera auf den ersten Blick kaum:

Leica M 50mm 1.4 Summilux asph. an der Leica M60 Edition

Leica M 50mm 1.4 Summilux asph. E46  an der Leica M60 Edition

Leica M 50mm 1.4 Summilux pre-asph. an der Leica M60 Edition

Leica M 50mm 1.4 Summilux pre-asph. E46 an der Leica M60 Edition

Allerdings gibt es markante Unterscheidungspunkte, die den Sonnenschutz ebenso betreffen wie die Fokussier-Einrichtung. Beide Objektive haben ausziehbare Sonnenblenden, doch beim pre-asphärischen Summilux ist diese deutlich filigraner gearbeitet, was ihr auch wegen der raffinierten Wiederholung des Blendenöffnungspunktes eine schönere Form verleiht:

Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Leica M 50mm 1.4 asph.

Leica M 50mm 1.4 asph.

Der größte Unterschied ist der Fokus-Tab aus Plastik, der beim asphärischen Summilux das Fokussieren erleichtern soll. Er stört das geradlinige Erscheinungsbild und fällt insbesondere beim Objektiv in der silbernen Ausführung etwas unangenehm auf:

M 50mm 1.4 asph. vs M 50mm 1.4 pre-asph.

M 50mm 1.4 asph. mit Fokus Tab vs M 50mm 1.4 pre-asph. ohne Fokus Tab

In puncto Ästhetik gibt es also bei der älteren Ausführung leichte Vorzüge, wie sieht es aber in der Handhabung aus?

Funktion

Beide Objektive lassen sich einwandfrei scharf stellen – der Fokus-Tab bietet keine Vorzüge gegenüber der etwas größeren Riffel-Fläche der pre-asphärischen Ausführung. Im Gegenteil: Wenn es schnell gehen soll, bietet das alte Modell den Vorzug, dass man nicht erst den Fokus-Tab ertasten muss: ein Griff, ein Dreh, schon scharf – ein Pluspunkt gegenüber dem asphärischen Summilux.

Ein zweiter ist das Gewicht: das pre-asphärische ist in der silbernen Ausführung leichter:

Leica M 50mm 1.4 asph. silber Gewicht: 471g

Das Leica M 50mm 1.4 asph. in silber wiegt 471g inkl. Rückdeckel, in schwarz wiegt es 344g ohne Frontdeckel.

Leica M 50mm 1.4 pre-asph. silber Gewicht: 380g

Das Leica M 50mm 1.4 pre-asph. in silber wiegt 380g inkl. Rückdeckel

Doch wir sollten diesen Vorzug nicht überschätzen: Denn für die meisten Leica- Anwender ist das Gewicht zweitrangig – man denke etwa nur daran, wie schwer das neue Noctilux 1.25/75 ist.

Abbildungseigenschaften: Schärfe

Wie bilden die beiden Objektive nun ab? Für die meisten Anwender ist die Schärfe zu einem fundamentalen Kriterium geworden; es hat den Anschein, dass sie immer wichtiger wird und sogar die inhaltliche Qualität eines Fotos auf- und sogar überwiegen kann, was eine absurde Entwicklung ist. Viele Meilensteine der Fotogeschichte sind hinsichtlich ihrer Schärfe-Eigenschaften regelrecht Nieten, womit gesagt werden soll, dass die Schärfe heute allgemein überschätzt wird. Deshalb fließt sie in die Bilanz zwar ein, ist aber nicht das wichtigste Kriterium.

Betrachten wir die Schärfe genauer anhand der folgenden Bilder, die mit einer Leica SL aufgenommen wurden. Was fällt auf?

Oldtimer Lenkrad mit Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

 

Oldtimer Lenkrad mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Das hölzerne Lenkrad sticht sagenhaft hervor; das wichtigste Detail dieses Oldtimers fällt sofort ins Auge: Der Sinn dieses in schöner abendlicher Licht- Stimmung aufgenommenen Fotos ergibt sich beinahe von selbst. Die Schärfe als Betonung des Wichtigen reicht völlig aus, wobei die rechte obere Seite des Lenkrads bereits in einer fast malerischen Unschärfe zurücktritt.

Es wurde mit dem asphärischen Summilux aufgenommen, doch die Schärfe- Unterschiede sind nicht so eklatant, dass man auf den ersten Blick ausrufen würde: Das ist es! Vielleicht tritt die linke Seite ein weniger plastischer hervor, dazu muss man aber schon sehr genau hinsehen. Auf jeden Fall ist der unscharfe Bereich des Lenkrades „irgendwie“ anders – was uns gleich ein wenig ausführlicher beschäftigen wird. Bleiben wir für einen Moment bei der Schärfe:

Porträt mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Porträt mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Eine Porträtaufnahme am späten Abend, wieder aufgenommen mit der SL. Lässt man den unscharfen Bereich weg, ist es recht schwer zu sagen, welche Aufnahme mit dem neuen und welche mit dem alten Summilux aufgenommen wurde. Schauen wir uns deshalb einen vergrößerten Ausschnitt an und konzentrieren uns nur auf das Auge:

Porträt mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Crop der oberen Aufnahme : Aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Porträt mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Crop der oberen Aufnahme : Aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Hier ist das Ergebnis eindeutig: Der Widerschein des Lichts auf dem unteren Auge ist brillanter. Die asphärische Linse zeichnet in der starken Vergrößerung „knackiger“ – ein Eindruck, der auch durch die Gegenüberstellung der folgenden beiden Bilder bestätigt wird.

Porträt aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Porträt aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Porträt aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Porträt aufgenommen mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Das Gesicht tritt bei der unteren Aufnahme ein wenig plastischer hervor – vergleichbar mit dem Lenkrad des Oldtimers der ersten Gegenüberstellung. Auch hier bringt das asphärische Summilux mehr Schärfe, was aber noch nichts darüber sagt, ob es auch das bessere Objektiv ist. Die Unterschiede sind, um es zu wiederholen, insgesamt recht gering – auch die Wiedergabe der Lichter um den Kopf herum sind fast gleich. Und dennoch gibt es etwas, das beide Objektive eindeutig unterscheidet.

Abbildungseingeschaften: Unschärfe

Es ist das besondere Verhältnis von Schärfe und Unschärfe, das erst die Schönheit eines Leica-Bildes ergibt. Gegenüber den glatt-perfektionierten iPhone-Fotos wirken Leica-Aufnahmen anders, schöner, künstlerischer – weil sie das Unscharfe, wenn alles stimmt, in wunderbarer Weise wiedergeben können.

Zwei Männer schwarz weiß

Für unseren kleinen Test zwischen neuem und altem Summilux ist deshalb die Wiedergabe des Unscharfen von größerer Bedeutung als die allgemein überschätzte Schärfe selbst. Schauen wir uns zum Start ein absichtlich recht nichtsagendes Motiv an und konzentrieren uns auf den Hintergrund:

Wald - Zaun - Plakat Mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Mit dem Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Wald - Zaun - Plakat Mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

Fällt etwas auf? Abgesehen von dem Schild rechts, das plastischer hervorzutreten scheint und eindeutig auf das asphärische Summilux hindeutet, fällt eine andere Zeichnung des Hintergrundes auf, der auf dem oberen Bild unruhiger wirkt. Wer Bilder der französischen Pointillisten aus dem 19. Jahrhunderts kennt, kann den Eindruck bekommen, dass oben die Blätter wie mit dem Pinsel einzeln hingetupft sind, während sie unten auf eine größere Fläche verwischt sind. Die Gegenüberstellung der beiden folgenden Bilder macht das deutlicher:

Porträt aufgenommen mit Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Porträt aufgenommen mit Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Porträt aufgenommen mit Leica M 50mm 1.4 asph.

Porträt aufgenommen mit Leica M 50mm 1.4 asph.

Wieder wirkt das Gesicht in der unteren Aufnahme plastischer, weil der Hintergrund gleichsam flächig und un-nuanciert zurücktritt. In der oberen Aufnahme, die mit dem alten Summilux fotografiert wurde, ist das Blattwerk des Baumes deutlicher zu erahnen – und die Lichtpunkte treten deutlicher, wie aufgemalt hervor.

Vergleichen wir in dieser Hinsicht die beiden folgenden Aufnahmen:

Vogelhäuschen Leica M 50m 1.4 pre-asph.

Mit dem Leica M 50m 1.4 pre-asph.

Vogelhäuschen Leica M 50m 1.4 asph.

Mit dem Leica M 50mm 1.4 asph.

 

Achten wir auf das braune, vertrocknete Blattwerk links neben dem Vogelhäuschen und konzentrieren uns nur darauf:

Bokeh Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Crop vom Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Bokeh Leica M 50mm 1.4 asph.

Crop vom Leica M 50mm 1.4 asph.

 

Der Hintergrund in dem oberen Bild, das wieder mit dem alten Summilux aufgenommen wurde, ist eindeutig unruhiger, weil die Lichtpunkte, Reflexionen und Doppelkonturen weitaus zahlreicher sind als unten. Während die Kante des Vogelhäuschens unten fast vom Hintergrund absticht, ist sie oben weich und fließend in das Grün eingebettet; die Kante fällt deshalb nicht so sehr ins Auge wie unten, während sie oben in den Formen und Farben beinahe „untergeht“ – ist das aber ein Nachteil? Oder sollte die unruhigere Wiedergabe nicht eher als Vorteil angesehen werden?

Fazit

In der heutigen Fotografie, wir sagten es bereits, dominiert die Schärfe. Der Hintergrund tritt flächig zurück, um ein einziges Detail in beinahe dreidimensionaler Anmutung wiederzugegeben. Doch im Wettbewerb mit immer schärferen Abbildungs-Technologien wird selbst ein Leica-Objektiv nicht bestehen können, wenn es nur nach dem vordergründigen Kriterium der Schärfe beurteilt wird. Andere Faktoren sollten hinzutreten – wie etwa die Wiedergabe des Hintergrundes, das vielzitierte „Bokeh“.

Porträt einer Frau mit Leica M 50mm 1.4 pre-asph.

Viele Fotografen wenden sich bewusst von der Schärfe ab und fotografieren mit alten Optiken – eindrucksvoll nachzuvollziehen zum Beispiel an der Facebook-Gruppe „Wir die Liebhaber der alten Linsen“. Auch der Erfolg der wiederaufgelegten Meyer-Görlitz-Objektive, die den Hintergrund beinahe effekthascherisch wiedergeben, kann nur damit erklärt werden, dass ein „schönes“ Bild nach Meinung einiger Fotografen etwas anderes ist als ein scharfes Bild. Insofern ist das pre-asphärische Summilux 50 nach unserer Meinung interessanter und vielseitiger als ein auf Schärfe getrimmter Nachfolger. Insgesamt mögen die Unterschiede zwischen den beiden Varianten gering sein – doch bietet das alte Summilux im kreativen Bereich mehr Möglichkeiten.

Und vielleicht sieht es an der Kamera einfach auch ein kleines bisschen besser aus:

Leica M 50mm 1.4 pre-asph. an einer Leica M3Leica M 50mm 1.4 asph. an einer Leica M3