Leica M 50mm 1.2 Noctilux 

Erfahrungsbericht – Test – Review

von Mehrdad Samak-Abedi

Leica hat vor kurzem ein Remake ihres sagenumwobenem M Noctilux 50mm 1.2 für den Leica M-Mount auf den Markt gebracht. Bei der „Originalversion“ handelt es sich um das allererste Noctilux, welches Leica 1966 auf den Markt gebracht hatte. Ich bespreche hier allerdings die neue Version, welche laut Leica den Charakter des Originals weitestgehend beibehalten hat, aber gleichzeitig die Anforderungen von digital erfüllt.

DAS M 50MM 1.2 NOCTILUX (ALTE VERSION)

Leica hat 1966 das erste M 50mm Noctilux auf den Markt gebracht. Es wurde bis 1975 gefertigt und gilt wohl als eins der kultigsten Leica M-Gläser. Es gibt nur ca. 1.500 Stück weltweit, und es war damals schon ein sehr teures Objektiv. Die zwei asphärischen Elemente in der Konstruktion waren extrem aufwendig in ihrer Herstellung, und trotz großer Sorgfalt während des Herstellungsprozesses haben viele Produkte die Endkontrolle nicht bestanden und mussten schlußendlich verschrottet werden. Dies machte das Objektiv somit nicht nur teuer, sondern eben auch selten. Die Abbildungsleistung und Lichtstärke des Objektivs war für damalige Verhältnisse herausragend.

Anders als allgemein und hartnäckig behauptet, ist das M Noctilux 50mm 1.2 aber nicht auf Offenblende optimiert worden. Die Bezeichnung Noctilux wird durch die zwei lateinischen Worte Noctis (Nacht) und Lux (Licht) gebildet. Damit ist das verfolgte Ziel der Entwickler auch klar. Natürlich ist dieses Objektiv auch bei f1.2 nutzbar, aber nicht ohne Einschränkungen. Dazu später mehr.

Den  Entwicklern ging es vor allem darum, dem (Reportage-) Fotografen eine hervorragende Abbildungsleistung bei Arbeitsblenden zu bieten. In Zeiten der analogen Fotografie war es durchaus üblich und normal, ein Objektiv um 1-2 EV oder auch mehr abzublenden, um dann gute bis sehr gute Bildergebnisse zu erhalten. Die Objektive waren selten auf Offenblende optimiert. Heutzutage gilt ja ein gutes Glas erst ab f1.x als brauchbar, was natürlich totaler Unsinn ist. Geringe Tiefenschärfe rettet ein schlechtes Bild nicht und macht auch eine gute Komposition des Motivs nicht schlechter.

Heutzutage gibt es auf dem Markt gleichwohl eine größere Auswahl an guten bis herausragenden lichtstarken 50mm Objektiven, auch für den Leica M-Mount.

Da ich das Original nicht kenne, will ich auf die optische Leistung des Originals hier nicht weiter eingehen. Ich fand es aber wichtig, dies hier kurz zu erläutern, um eine Besonderheit der Neuauflage zu verstehen.

Das originale M 50mm 1.2 Noctilux lag mir aufgrund seiner ausgesprochenen Seltenheit und dem doch sehr hohen Preis nicht selber vor, daher muss ich mein Wissen um dieses Objektiv der Literatur entnehmen. Die optimale Blende liegt demnach bei f8.0 (Quelle: Leica Taschenbuch, 7. Auflage von Dennis Laney und Erwin Putts).

Das 50mm 1.2 NOCTILUX (NEUE VERSION)

Auch wenn die allermeisten von uns das Original wohl nicht in die Finger bekommen werden, so ist vielleicht gerade dies die Faszination an diesem Objektiv. Ich kann das nur vermuten, aber ich glaube, das dachte sich auch Leica, und hat sich deshalb dazu entschieden, ein Remake des Objektivs auf den Markt zu bringen. Äußerlich ist es von dem originalen 1966 auf den Markt gekommenem nicht zu unterscheiden.

Der Fokusring ist etwas stärker gedämpft, aber nicht so stark, dass es unangenehm wäre, damit zu arbeiten. Gerade wenn man mit Offenblende fotografiert, ist man dafür dankbar, da sich der Fokus so nicht versehentlich allzu leicht verstellen lässt. Die Blende wird in ½ EV Schritten von f1.2-f16 verstellt. Im übrigen ein ziemlich schönes haptisches und akustisches Feedback. So ganz coole, satte, dumpfe Klicks. Mag ich sehr!

Ein paar Hardfacts zu dem neuen Noctilux-M 50mm f1.2

  • 6 Elemente in 4 Gruppen mit zwei asphärische Elementen (wie das Original, siehe oben die Werbung)
  • Naheinstellgrenze 1m (wie das Original)
  • 49mm Filtergewinde
  • Gewicht 400g (das Original wiegt ca. 460 g)
  • Lieferumfang: Glocke, Metallsonnenblende, Metallfront und -rückdeckel (letzterer etwas flacher als üblich)
  • Farben schwarz und silber (nur 100 Stück limitiert)
  • UVP 6.950 Euro (das Original wird je nach Zustand ab 40.000 Euro gehandelt)

SCHÄRFE IST NICHT ALLES

Daran sollte man denken, wenn man mit diesem Objektiv bei Offenblende arbeitet. Meine Güte, hat mich dieses Objektiv anfangs verzweifeln lassen.

Ein Objektiv mit Anfangsblende von f1.2 scheint einem geradezu entgegen zu schreien: ‚Benutze mich offen! Nur offen, und freue Dich.‘ Zumindest heutzutage ist das so. Wie oben erwähnt, war das zu den Zeiten, als die erste Variante davon auf den Markt kam, anders.

Natürlich kann und soll man das Noctilux f1.2 auch offen nutzen, allerdings muss man dazu wissen, dass die Schärfe bei Offenblende tatsächlich nur in der Bildmitte ist. Und dies ist ganz genauso gemeint, wie es sich anhört. Es gibt im Grunde keine Schärfeebene, es ist vielmehr ein Schärfepunkt. Dies bringt ein paar „Probleme“ mit sich bzw. ein gewisses Umgewöhnen beim Fotografieren. Bis ich dies allerdings rausgefunden bzw. verinnerlicht hatte, waren schon ein paar Aufnahmen nötig.

Ich arbeite mit meiner M oft mit focus-recompose. Dies ist natürlich bei lichtstarken Objektiven mit Anfangsblenden von f1.4 oder schneller ohnehin nicht so ohne weiteres möglich, aber in der Regel bekomme ich das gut hin. Ab der M10 kann man über das Display oder den Aufstecksucher das Fokusfeld außermittig wählen und so mit der Sucherlupe eben die Schärfe auch an „jeder anderen Stelle“ des Bildes einstellen. Dies ist mit dem Noctilux f1.2 so nicht möglich. Zumindest eben nicht, wenn man seinen Schärfepunkt außerhalb der Mitte in der Kompostion selber wählen will.

Dieses Objektiv ist quasi perfekt für den Messsucherfotografen, aber im Grunde nicht zu gebrauchen für den Außermitten-Schärfe-Fotografen oder den focus-recompose-Fotografen. Ich habe das mit den zwei Fotos meiner tollen Kollegin Sevda versucht zu verdeutlichen. In dem linken habe ich focus-recompose versucht und bin eindeutig gescheitert. Das Gesicht ist nirgendwo scharf. Ich mag das Bild dennoch. Schärfe ist halt nicht alles.

Beim rechten Bild habe ich auf die Augen scharf gestellt und ihr Gesicht in der Bildmitte belassen. Das Bild wurde nachträglich dann zurechtgeschnitten, sodass die Kompostion da war, wo ich es wollte. Mit der Leica M10-R ist das dank 41 MP auch nicht so das Problem.  Abgeblendet auf f2.0 verändert sich dieses Verhalten sehr schnell und es löst dann auch feinere Details sehr viel besser auf.

Man muss bei Offenblende sehr streng darauf achten, das Objekt unbedingt in der Mitte zu halten, ansonsten ist jegliche Schärfe zu vermissen. Es empfiehlt sich auch den EVF zu nutzen, wenn man mit dem Noctilux arbeitet.

Der Effekt der Unschärfe außerhalb der Mitte minimiert sich natürlich, je weiter das Objekt entfernt ist. Die Aufnahme unten ist bei f1.2 gemacht worden und komplett unbeschnitten. Ich habe es in Farbe, Kontrast, Tiefen/Lichter usw. bearbeitet, aber nicht zurecht gecropped. Hier ist das Problem der punktuellen Schärfe natürlich nicht vorhanden.

BOKEH

Blende f1.2 verspricht zumindest mal Bokeh, und das mitunter reichlich davon. Es ist in meinen Augen definitiv eher Kategorie Vintage. Ich mag das ab und zu ganz gerne, finde aber, dass man als Fotograf dies auch passend einzusetzen vermögen muss. Es muss also zum Motiv, zur Bildstimmung und/oder zum Bildaufbau passen.

Wer runde Bubbles im Bokeh sucht, dem sei gesagt: Ist nicht! Ich habe sie zumindest nicht hinbekommen.

Ich habe sehr oft dieses swirley Bokeh erkennen können. Es hat auch dieses Glühen, welches viele ältere Objektive aufweisen. Bis Blende f2.0, finde ich, merkt man dem Glas schon an, dass Leica hier versucht, hat dem analogen (vintage) Look treu zu bleiben. Diesbezüglich werde ich auch den ein oder anderen Film mal durch die MP oder M5 ziehen, um auch den Look auf Film zu sehen. Ich reiche das dann bei Gelegenheit in den Bildern hier nach. Was ich an dem Glas mag, ist der Übergang von der „Schärfe“ in die Unschärfe. Der Verlauf ist sehr fließend. Was ich persönlich auch immer gerne einsetze, ist Vordergrund-Bokeh. Hier weiß das Noctilux auch zu überzeugen.

UND SONST SO?

Was gibt es sonst noch zum Noctilux zu sagen? Also, ich weiß, ich wiederhole mich, aber meine Güte, sieht das Objektiv einfach nur schön aus! Ehrlicherweise ohne die monströse Sonnenblende. Diese ist zwar sehr hochwertig aus Metall gefertigt, bei meinem Exemplar saß diese aber etwas zu lose für meinen Geschmack, weshalb ich sie im Grunde nicht genutzt habe. Anfangs hatte ich etwas Sorge, dass ich so mit unerwünschtem Gegenlicht zu kämpfen hätte, ich musste aber feststellen, dass dies nicht der Fall ist. Ich hatte so gut wie keine Lensflares erzeugen können. Nur in einer Situation hatte ich es hinbekommen, aber es blieb recht dezent.

Was einem dieses Objektiv auch in Mengen liefert, aber das ist bei den allermeisten hochlichtstarken Objektiven so, sind chromatische Abberationen. Dies ist, wie gesagt, nicht ungewöhnlich und auch nichts, was man nicht in einem vernünftigen RAW-Konverter in den Griff bekommen könnte. Wer ein Glas sucht, welches diese Bildfehler nicht produziert, der muss auf APOchromatische Objektive zurückgreifen.

Die zwei verbauten asphärischen Elemente beseitigen etwaig auftretende Koma bei offen Blende.

FAZIT ZUM M 50MM 1.2 NOCTILUX

Ich gebe zu, die ersten Tage mit dem Objektiv waren herausfordernd für mich. Das Noctilux war eins dieser seltenen Objektive, welches mich irgendwann fast schon sauer gemacht hatte. Ich habe es einfach so gut wie nicht hinbekommen, bei Offenblende ein scharfes Foto zu produzieren. Abgeblendet haben mir die Ergebnisse sehr gut gefallen. Ich habe daraufhin mit Alexander Görlitz telefoniert, der das „Original“ (1966 Version) kennt. Er betonte, dass ich streng darauf achten solle, den Fokuspunkt nicht aus der Mitte heraus zu verschieben, dann würde es besser gehen. Und wie ich oben ausführte hatte, hatte er Recht. Ich kannte das so vorher von keinem Objektiv, welches ich bisher testen durfte. Hier ist das Noctilux 50mm f1.2 wirklich besonders. Mal ganz nüchtern und völlig unironisch gemeint.

Mit der Zeit wurden die Ergebnisse besser, und ich habe ein paar Bilder damit erhalten, die ich tatsächlich sehr mag und schon besonders finde.

Wer ein alltagstaugliches Allround 50mm sucht, welches offen auch möglichst messerscharf bis in die Ecken oder zumindest Ränder ist, oder überlegt, sein f2.0 50mm Glas gegen ein lichtstärkeres einzutauschen, der sollte meiner Meinung nach die Finger von dem Noctilux 50mm f1.2 lassen. Auch wenn es rein äußerlich (Größe und Gewicht) ein wirklich richtig tolles Glas ist, was dazu auch noch wirklich richtig sexy an einer M aussieht, so wird es bei Offenblende eher die Fotografen abholen, die was Besonderes suchen. Einen Bildlook, den man dosiert einsetzen will.

Das klingt jetzt eventuell negativ, vielleicht auch unterschwellig negativ, aber ich meine das nicht wirklich so.

Man sollte dieses Objektiv eher als das sehen, was es meiner Meinung nach ist: Es ist ein Angebot von Leica an die Leica Fangemeinde. Die Leica Liebhaber, die gerne einmal in ihrem Leben mit diesem legendärem Objektiv fotografieren wollen/wollten, aufgrund seiner Seltenheit wohl aber nie die Gelegenheit dazu hatten.

Mit UVP 6950,-Euro ist dieses Objektiv alles andere als ein Schnäppchen, wenn man dies aber mal damit vergleicht, wie die alten Versionen davon gehandelt werden, dann sieht das ganze schon wieder ganz anders aus. Es ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes Objektiv, wie auch das Thambar-M 90mm f2.2 zum Beispiel. Dass nur wenige Fotografen/Fotografiebegeisterte knapp 7000 Euro für ein Objektiv ausgeben wollen/können, das mit den genannten Einschränkungen daher kommt, ist sicherlich verständlich. Aber es muss und will ja auch nicht jeder einen Rolls-Royce fahren, wenn es der schnittige BMW auch tut.

Bitte nicht falsch verstehen, es ist kein schlechtes Objektiv, nur für den heutigen ein-f1.2-Glas-muss-nur-offen-benutzt-werden-Fotograf definitiv nicht ohne Kompromisse zu nutzen. Abgeblendet auf f2.0 ist davon kaum noch was übrig, aber da gibt es dann vielleicht auch andere Alternativen. Ich denke bei dem Noctilux 50mm f1.2 ist es besonders wichtig genau zu wissen, was da optisch auf einen zukommt. Der reine Blick auf die nüchternen Zahlen reichen hier meiner Meinung nach nicht.

Mir persönlich hat es dann irgendwann Spaß gemacht, damit zu fotografieren. Ich kann jeden verstehen, der das zusätzlich haben will, bei mir wäre es das Zweit- oder Dritt-50er für meine M. Wie schön, dass ich dieses Problem nicht habe.